Die Himmelspforte

Die Himmelspforte: vollständiges deutsches Andachtsbuch für Israels Frauen und Jungfrauen

Das Andachtsbuch „Die Himmelspforte“ von Saul Isaac Kaempf steht in der Tradition der in der Alltagssprache geschriebenen Gebetbücher für jüdische Frauen. Waren diese in der frühen Neuzeit in jiddischer Sprache verfasst, so kamen im Laufe des 19. Jahrhunderts in West- und Mitteleuropa deutschsprachige Andachtsbücher auf. Sie vermitteln uns einen Eindruck von dem Bildungsideal, das für die Frauen des jüdischen Bürgertums galt, und geben Aufschluss über die Frömmigkeitspraxis der Zeit.

Die „Himmelspforte“ ist gegliedert in „Gebete für Haus und Synagoge“, „Gebete zu besonderen Gelegenheiten“ – darunter z. B. ein „Gebet einer Frau an einem Kurorte“ –, „Gebete für die zarte Jugend“ und „Gebete beim Hinscheiden und am Grabe theurer Hingeschiedenen“. Daran angeschlossen finden sich „Der Führer auf dem Wege zu einem religiösen und tugendhaften Leben“, in dem die religiösen Pflichten jüdischer Frauen behandelt werden, sowie vier „Religiöse Poesien“.

Zentrale Gebete gibt das Buch nicht nur in der deutschen Fassung, sondern parallel auch mit dem hebräischen Text wieder. Andere Gebete erscheinen nur in deutscher Sprache, weisen aber eine hebräische Überschrift auf, während weitere Texte durchgängig deutsch abgedruckt sind. Zwischen den Gebeten sind religiöse „Betrachtungen“ eingeschoben zu den Themen Schlaf, Schofarblasen und Trauer.

Der Verfasser, Saul Isaac Kaempf (1818–1892), war Rabbiner und Orientalist. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts wirkte er am Prager Israelitischen Tempel; die Gebetbücher mit dem dort üblichen Ritus übertrug er in die deutsche Sprache. Als Wissenschaftler befasste er sich u.a. mit der hebräischen Dichtung des Mittelalters. Sein „Andachtsbuch für Israels Frauen und Jungfrauen“ greift auf diese Arbeiten zurück: Die Gebete zur „Todtenfeier“ sind der zweiten Ausgabe seines „Gebet-Zyklus“ (Machsor) von 1866 entnommen, und an mehreren Stellen fügt er Texte aus seinem 1858 erschienenen Werk „Nichtandalusische Poesie andalusischer Dichter aus dem 11., 12. und 13. Jahrhundert. Ein Beitrag zur Geschichte der Poesie des Mittelalters“ ein.

Kaempfs Name auf dem Titelblatt der „Himmelspforte“ hat den Zusatz „s. A.“, „seligen Angedenkens“ – ein Hinweis auf die posthume Veröffentlichung des Andachtsbuches.

Das Exemplar in der EZJM-Bibliothek zählt zur 20. Auflage, was auf eine größere Verbreitung des Buches schließen lässt. Es weist eine handschriftliche Widmung in ungarischer Sprache auf: eine Mutter widmet es ihrer Tochter im Jahr 1917. Der Zustand des Buches lässt vermuten, dass vor allem der erste Teil, die „Gebete für Haus und Synagoge“, häufiger aufgeschlagen wurde. Dass das Buch benutzt wurde und nicht vergessen im Regal stand, lässt auch die Reparatur im Inneren des Einbandes, der mit Klebeband fixiert wurde, erkennen.

Wer mehr zu Kontext und Hintergrund der deutschsprachigen Andachtsbücher als Zeugnisse jüdischer Frauen-Frömmigkeit in den vergangenen zwei Jahrhunderten erfahren möchte, sei auf das Buch von Bettina Kratz-Ritter aus dem Jahr 1995 verwiesen: „Für ‚fromme Zionstöchter’ und ‚gebildete Frauenzimmer’. Andachtsliteratur für deutsch-jüdische Frauen im 19. und frühen 20. Jahrhundert“. In der EZJM-Bibliothek hat dieses Buch die Signatur D1 5 Kra (2). Saul Isaac Kaempfs „Himmelspforte“ findet in dieser Untersuchung keine Erwähnung, doch ein früheres Gebetbuch des Autors aus dem Jahr 1860 wird als Quelle herangezogen. Ein „Gebet einer Frau an einem Kurorte“ war auch in dieser früheren Veröffentlichung bereits enthalten.

Susanne Borchers (2013)

 

Bibliographische Angaben

Die Himmelspforte: vollständiges deutsches Andachtsbuch für Israels Frauen und Jungfrauen; für die öffentliche und häusliche Andacht in allen Verhältnissen des Lebens / von Saul Isaac Kämpf
20. Aufl., Prag: Pascheles [ca. 1900]

Signatur in der EZJM-Bibliothek:
D1 4 Kae

Besonderheit

Die EZJM-Bibliothek ist (laut Online-Katalogen) deutschlandweit die einzige Bibliothek, die diesen Titel vorhält!

Last modified: 2022-03-29

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