Aron Friedmann
Aron Friedmann
„Ein Gebet ohne Gesang ist (…) wie ein Körper ohne Seele“ (1) - dieses Zitat, das sich in einer Abhandlung Aron Friedmanns findet, überschreibt die neueste Ausgabe der Zeitschrift „PaRDeS“ (2), welche unter Mitwirkung des EZJM entstanden ist. Anlass, die Persönlichkeit, die hinter diesen Zeilen steht, näher zu betrachten und die Biographie des Monats Oktober diesem jüdischen Kantoren, Komponisten und Musiktheoretiker zu widmen.
Aufschluss über die frühen Jahre in Friedmanns Biographie geben seine 1929 veröffentlichten Memoiren. (3) Aron Friedmann wurde am 22. August 1855 im litauischen Szaki geboren. Bereits früh erhielt er Förderung in religiöser und musikalischer Hinsicht durch seinen Vater, der selbst als Vorbeter tätig war und dem Sohn auf diese Art eine Kantoren-Laufbahn in Deutschland ermöglichen wollte. Nachdem Aron Friedmann bereits mehrere Jahre in verschiedenen Gemeinden das Amt des „Chasan“ – des synagogalen Vorbeters – ausgeübt hatte, beschloss er 1878, nach Berlin zu gehen, wo er lernen wollte „wie einst Moses Mendelssohn“. (4) Seine dortige Ausbildung begann Friedmann an der Jüdischen Lehrerbildungsanstalt, der späteren „Hochschule für die Wissenschaft des Judentums“, wo er mit dem Begründer der modernen „Wissenschaft des Judentums“, Leopold Zunz, zusammentraf und Schüler des bedeutenden Berliner Reformkantors Louis Lewandowski wurde. Am 1. Januar 1882 trat Friedmann, obwohl er seine Ausbildung zu diesem Zeitpunkt noch nicht ganz abgeschlossen hatte, die frei gewordene Stelle des Zweiten Kantors der Neuen Synagoge an. Dies sollte den Beginn einer über 40-jährigen Tätigkeit im Dienste der Jüdischen Gemeinde in Berlin markieren. Parallel zu seiner Kantorentätigkeit nahm Aron Friedmann in den Folgejahren ein Kompositions- und Gesangsstudium am Stern´schen Konservatorium auf. Dort und an der Königlichen Akademie der Künste war er in späteren Jahren auch in der Lehre tätig. Eine besondere Auszeichnung bedeutete die Verleihung des Titels „Königlicher Musikdirektor“ anlässlich Friedmanns 25-jährigen Dienstjubiläums – eine Ehre, die vierzig Jahre zuvor auch Louis Lewandowski zu dessen 25-jährigem Jubiläum zuteil geworden war. Auch nachdem Friedmann 1923 in den Ruhestand gegangen war, beschäftigte er sich bis zu seinem Tod mit 81 Jahren in Berlin mit Musik und musikwissenschaftlichen Studien. Unter anderem veröffentlichte er in dieser Zeit mehrere Aufsätze in der Zeitung „Der jüdische Kantor“(5).
Friedmanns kompositorisches Oeuvre umfasst zahlreiche Vertonungen von Psalmen und Gedichten religiösen Inhalts. Besonders hervorzuheben ist, dass er sich als einer der ersten Komponisten mit den traditionellen aschkenasischen Weisen beschäftigte. Von der musikalischen Qualität der Kompositionen Aron Friedmanns zeugt seine Aufnahme in die „Cantorial Anthology“ (6) an der Seite großer Namen der Reformbewegung des 19. Jahrhunderts. Neben eigenen Kompositionen veröffentlichte Friedmann auch verschiedene theoretische Schriften über die synagogale Musik und deren Geschichte und Praxis. So gilt beispielsweise Friedmanns Arbeit „Lebensbilder berühmter Kantoren“ (7) als eine der wichtigsten biographischen Quellen für das Zeitalter der Reformkantoren und findet bis heute Verwendung in der Forschung.
In der Bibliothek des EZJM befindet sich eine Ausgabe von Friedmanns musikalischem Werk „Schir Lisch´laumau, Chasanut für das ganze liturgische Jahr“ (8) von 1901, das Eigenkompositionen Friedmanns für den gesamten liturgischen Jahreszyklus enthält. Dieses Exemplar hat eine besondere Geschichte. Es ist Teil der „Sammlung Oberkantor Nathan Saretzki“, einer Gruppe von synagogalen Musikwerken, die der Frankfurter Oberkantor Nathan Saretzki in der Reichspogromnacht aus der brennenden Synagoge retten konnte, und die seit 1998 im Besitz des EZJM ist. Mit der Geschichte und dem Inhalt dieser Notensammlung, die neben den Werken Friedmanns viele weitere synagogale Kompositionen enthält, beschäftigt sich die in Kürze erscheinende Veröffentlichung des EZJM. (9)
Aron Friedmanns theoretisches Hauptwerk „Der synagogale Gesang“ (10) von 1908 ist in der Bibliothek des EZJM mit drei Exemplaren vertreten. Die Monographie ist eine der ersten und wichtigsten Abhandlungen zum Thema „synagogaler Gesang“ im Sinne der modernen Forschung. Dies sollte jedoch nicht darüber hinweg täuschen, dass Friedmann in seinem Musikempfinden ein Kind seiner Zeit war und in der Tradition der großen Reformkantoren und der „Klassisch-Romantischen Schule“ stand. Philip Bohlman beschreibt, wie der Studie Friedmanns, die an der Schwelle vom 19. zum 20. Jahrhundert steht, deshalb eine Vermittler-Rolle in der musikalischen Auseinandersetzung zwischen Orthodoxen und Liberalen zukommt: „Die wichtigste Leistung von Aron Friedmanns Der synagogale Gesang ist, eine Musikgeschichte der jüdischen Musik darzustellen, die trotz der Spannung eine gemeinsame Grundlage hervorhebt“ (11).
Rebecca Arndt
Studentin der Musikwissenschaft und Judaistik
Praktikantin im EZJM September/Oktober 2014
Aron Friedmann
Bibliographische Angaben
(1) Friedmann, Aron:
Der synagogale Gesang,
S.2.
(2) Denz, Rebekka; Salzer, Dorothea M. (Hg.):
Ein Gebet ohne Gesang ist wie ein Körper ohne Seele: Aspekte der synagogalen Musik,
Potsdam: Univ.-Verl. 2014.
EZJM-Signatur: A3 1 Par
(3) Friedmann, Aron:
50 Jahre in Berlin (1878-1928) - Erinnerungen,
Berlin: Boas 1929.
(4) ebd., S.5.
(5) Der Jüdische Kantor. Zweimonatsschrift des allgemeinen deutschen Kantoren-Verbandes,
Berlin: Verl. d. Vereinigung jüdischer Kantoren 1929-1938.
(6) Ephros, Gershon (Hg.):
Cantorial anthology of traditional and modern synagogue music: arranged for cantor and choir with organ accompaniment,
New York: Transcontinental Music Publ. 1972-1977.
EZJM-Signatur: C1 2 Can-1
(7) Friedmann, Aron:
Lebensbilder berühmter Kantoren: zum 100. Geburtstage des verdienstvollen Oberkantors der Breslauer Synagogengemeinde Weiland Moritz Deutsch,
Berlin: Boas 1918-1927.
(8) Ders.:
Chasonus (vor allem nach den traditionellen Weisen) für das ganze liturgische Jahr,
Berlin u.a.: Deutsch-Israelischer Gemeindebund 1901.
EZJM-Signatur: Rara 2016
(9) Stellmacher, Martha; Burghardt, Barbara:
Orgel ad libitum. Einblicke in die Musik der Reformsynagogen am Beispiel der „Sammlung Oberkantor Nathan Saretzki“
Hannover: Wehrhahn (voraussichtlich 2014).
(10) Friedmann, Aron:
Der synagogale Gesang
Leipzig: Peters 1978 (=1908).
EZJM-Signatur: A3 1 Fri (2)
(11) Bohlman, Philip V.:
Jüdische Volksmusik: eine mitteleuropäische Geistesgeschichte,
Wien u.a.: Böhlau 2005, S.79.
EZJM-Signatur: A4 Boh
Zuletzt bearbeitet: 29.03.2022
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