Genisa-Workshop

Interdisziplinärer Workshop

Vom mittelalterlichen Kairo bis ins neuzeitliche Veitshöchheim. Jüdisch-religiöse Praktiken im Spiegel von Genisaquellen

Der Workshop wird veranstaltet in Kooperation des Europäischen Zentrums für Jüdische Musik mit dem Research Center „Dynamik ritueller Praktiken im Judentum in pluralistischen Kontexten von der Antike bis zur Gegenwart“ am Max-Weber-Kolleg der Universität Erfurt, der Professur für Judaistik an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg und der Vereinigung für Jüdische Studien e. V. Er wird gefördert von der Fritz-Thyssen-Stiftung.

Zeit: 25.–27. März 2019
Ort: Bamberg und Erfurt

Der hebräische Begriff Genisa (Pl. Genisot) beschreibt einen Ablageort für nicht mehr nutzbare jüdisch-religiöse Literatur und Kultgegenstände. Die Einrichtung einer Genisa war traditionelle Praxis vieler jüdischer Gemeinden. Der international wohl bekannteste Fund seiner Art stellt die Kairoer Genisa dar: Ende des 19. Jahrhunderts wurden bei Renovierungsarbeiten der Ben-Esra-Synagoge in der ägyptischen Hauptstadt nahezu 200.000 Schriftfragmente entdeckt, die auf einen Zeitraum vom Jahr 800 bis ins 19. Jahrhundert datieren. Die Bestandteile dieser bedeutenden Genisa sind nunmehr weltweit verstreut und werden für verschiedene wissenschaftliche Fragestellungen herangezogen. Die Materialien prägen das Bild vom jüdischen Mittelalter und von der Kulturgeschichte des Mittelmeerraumes bis in die heutige Zeit.

Im deutschsprachigen Raum wurden insbesondere in Süd- und Mitteldeutschland in den vergangenen Dekaden Genisot in ehemaligen Synagogen gehoben. Eine Vielzahl dieser Funde, v. a. aus Franken, wird heute im „Genisaprojekt Veitshöchheim“ bearbeitet. Im Vergleich zum Kairoer Bestand ist der Umfang der deutschen Genisot überschaubar. Sie wurden zumeist im 17./18. Jahrhundert angelegt, wobei sie auch älteres Material enthalten können. Genisot können getrost als Archiv der rituellen Spuren jüdischer Gemeinden bezeichnet werden. Diese Zeugnisse individueller und kollektiv-gemeindlicher jüdischer Religionsausübung reichen von Schriftquellen wie handschriftlichen oder gedruckten Gebetbüchern bzw. deren Fragmenten oder kleinen Notizzetteln zur Verwendung im Gebet bis hin zu rituellen Objekten wie Torah- und Esterrollen, Tallitot (Gebetsmäntel) und Tefillin (Gebetsriemen). Der Wert der Genisot als Quelle aus originär jüdischer Hand kann sowohl für die Untersuchung der Frage nach Kontinuität und Wandel in jüdisch-rituellen Praktiken, die im Mittelpunkt des anvisierten Workshops steht, als auch für die Erforschung weiterer Teilbereiche der jüdischen Kulturgeschichte gar nicht hoch genug geschätzt werden.

In dem anvisierten Workshop werden mittelalterliche Kairoer Genisamaterialien und neuzeitliche europäische Genisaquellen nebeneinandergestellt. Doch diese räumlich und zeitlich so unterschiedlichen Ablagen ähneln sich nicht zuletzt in den Fragen der Arbeitsmethoden und Problemstellungen: Wie lässt sich das Material entziffern? Wie geht man mit Fragmenten um, die lediglich wenige Zeilen oder gar nur wenige Wörter enthalten? Wie lassen sich diesen Fragmenten die für die Forschung so wichtigen Informationen abgewinnen? Was muss beachtet werden und was sind die Grenzen der Forschung? Aber auch auf inhaltlicher Ebene verspricht die Zusammenführung beider Quellenkorpora neue Erkenntnisgewinne: Welche Rückschlüsse auf den Minhag und die rituellen Eigenheiten einer Gemeinde können aus den Funden gezogen werden? Wie helfen die Quellen, einen Einblick in die Religionsausübung einzelner jüdischer Gemeinden zu bekommen?

Außerdem verbindet die Kairoer Genisa und die europäischen Ablagen doch der unmittelbare Zugang zum jüdischen Gemeindeleben und zu konkreten religiösen Praktiken. So bieten die ‚in situ‘-Textfragmente und Zeugnisse der Sachkultur aus den Genisot gleichsam ein Ergänzungsstück zu den ‚ex situ‘ in Bibliotheken aufbewahrten handschriftlichen und gedruckten Gebetbüchern.

Der Workshop wird elf Vertreter*innen verschiedener Disziplinen der Judaistik/Jüdische Studien (u. a. Religionsgeschichte, Musik, Liturgie, Theologie, Geschichte, Bauforschung) dazu anregen, Fragen nach jüdisch-religiösen Praktiken im Spiegel von Genisaquellen kollegial zu erörtern. Am Genisaprojekt Veitshöchheim werden die Teilnehmer*innen mit dem dort verfügbaren heterogenen Bestand an Originalquellen arbeiten.

Im öffentlichen Teil des Workshops (am 25. März 2019 in Bamberg und am 27. März 2019 in Erfurt) werden die Teilnehmer*innen Kurzvorträge zu ihrem Forschungsgebiet halten. Die Keynote-Lecture hält Isidoro Abramowicz, Leiter der jüdischen Kantor*innenausbildung am Abraham Geiger Kolleg in Potsdam.

 

Kontakt

Martha Stellmacher
Wissenschaftliche Mitarbeiterin
T. +49-(0)511-3100-7129
E-Mail: Martha Stellmacher

Das Programm des Workshops

Programm Genisa-Workshop 2019

Zuletzt bearbeitet: 29.03.2022

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